„Unternehmen sind die letzten Hoffnungsträger“

Warum Werbung Werte braucht

Multiple Krisen dominieren gerade unsere Wahrnehmung, viele Menschen fühlen sich inzwischen davon überfordert und suchen nach einfachen Antworten auf zahlreiche komplexe Fragen. Welche Rolle können da Unternehmen und ihre Marken übernehmen? Sollen sie in ihrer Kommunikation Haltung zeigen oder sich lieber auf den Produktnutzen fokussieren?

Ines Imdahl, Diplom-Psychologin und Geschäftsführerin des Marktforschungsunternehmens Rheingold Salon, hat im Rahmen der MEDIENTAGE MÜNCHEN darauf eine klare Antwort gegeben: „Nie war Werbung so wertvoll wie heute.“ Aber sollte die Devise „Hauptsache Haltung“ sein? Viele Unternehmen scheinen auf diesen Trend zu setzen. Mit Erfolg?

Ines Imdahl sieht die Menschen wie auch die Unternehmen derzeit in einem Verharrungsmodus nach dem Motto „weiter wie bisher“, gepaart mit Unmut und Existenzängsten. „Die Folge sind Vertrauensverlust und der aktuell zu beobachtende Rechtsruck“, erklärte die Diplom-Psychologin. Schließlich liefere eine rechtsextreme Partei der Öffentlichkeit im Moment das einzige Zukunftsbild.

Deshalb lautete ihre Empfehlung für Werbungtreibende: „Purpose ist wichtiger denn je. Politik und Religion haben ausgedient, Unternehmen sind die letzten Hoffnungsträger. Die Menschen erwarten Zuversicht als echte Vision, Ausblick, Weitblick, Zukunftsbilder und Narrative.“ Doch welche Kriterien sollte die Kommunikation dann erfüllen? „Was innen ist, ist auch außen. Das muss zusammenpassen, dann ist Purpose auch glaubwürdig“, betonte die Gründerin des Rheingold Salon. Allerdings würden derzeit noch viele Unternehmen „wallstreeten“. Imdahl gab zu bedenken, dass die Steigerung von Gewinn und Wachstum allein keinen Sinn und Purpose liefere. Um „Sinn“ in ein Unternehmen zu bringen, sollten sich die Verantwortlichen auf die Gesinnung besinnen, seelischen Mehr-Wert liefern und die Menschen verstehen. Keine Selbstverständlichkeit, denn: 80 Prozent der Führungskräfte glaubten, die Bedürfnisse der Kunden zu kennen. Allerdings würden nur 15 Prozent der Kunden das genauso sehen. „Die Menschen wollen ihre inneren Konflikte verstanden sehen und Werbung sollte Lösungsangebote liefern. Die Ansprache von aktuellen Werten muss aber zum Unternehmen passen, der eigenen Gesinnung entsprechen und einen Mehrwert liefern“, sagte Imdahl. Wenn die Unternehmen den Menschen Sinn, Lösungen und Zuversicht vermitteln könnten, dann könnten sie nach wie vor auch gute Preise realisieren.

Tanja Seiter, Director Media Research von Hubert Burda Media und Mitglied des Forscherkreises der Gesellschaft für integrierte Kommunikationsforschung (GiK), präsentierte Insights aus den Marktforschungsstudien Best for Planning und Best for Tracking. Unter dem Dach der GIK bündeln die Verlage Axel Springer, Bauer Media Group, Funke Medien Gruppe, Gruner+Jahr sowie Hubert Burda Media Marktforschung ihr empirisches Forschungs-Know-how und analysieren seit 2013 die Mediennutzung und das Konsumverhalten von Verbrauchern.

Tanja Seiter zeigte aus Deutschlands größter Marktmediaforschung Best for Planning die aktuellen Trends: Der Wunsch nach Nachhaltigkeit und Fair Trade ist demnach von 2019 bis 2021 deutlich gewachsen, stagniert aber nun. Auch der gezielte Einkauf von Bioprodukten nimmt wieder leicht ab. Bremst demnach die Inflation den Wunsch nach Nachhaltigkeit? „Die Angst um den Lebensstandard nimmt zu und damit steigt auch die Preisorientierung – die Schnäppchenjäger nehmen zu“, urteilte Seiter.
Bedeutet der beschriebene Trend für werbungtreibende Unternehmen, dass sie sich auf die Preiskommunikation fokussieren sollen? Um dies zu klären, präsentierte die Marktforscherin Ergebnisse aus der Studie Best for Tracking Creative, die jeden Monat 33 Print- und sieben Online-Motive testet, insgesamt bislang über 6000 Kreationen mit rund 2,3 Millionen befragten Leuten. Um die Frage nach der Wirkung von Haltungskampagnen zu klären, verglich Tanja Seiter Kreationen mit Purpose-Inhalten (380 Motive seit 2019) mit Kreationen ohne diese Inhalte (2172 Motive). Das Ergebnis: Haltungsanzeigen zeigten deutlich bessere Werte bei den Anmutungs-Parametern „unverwechselbar“, „informativ“, „gefällt mir“, „originell“ oder „bleibt in Erinnerung“. Auch die Werte für die Aktivierung fielen besser aus. So leiten diese „Haltungskampagnen“ eher auf die Website (plus 10 Prozent), erhöhen das Informationsbedürfnis (plus 12 Prozent), die Kaufabsicht (plus 44 Prozent) und verbessert die Einstellung zum Produkt (plus 39 Prozent). Seiters Fazit lautete: „Purpose kann viel für mein Image tun, Haltung lohnt sich.“

Kristina Bonitz, Geschäftsführerin der Strategieberatung Diffferent, lieferte abschließend einen Einblick in die Praxis und widerlegte die weit verbreitete Ansicht, dass es ausreiche, Purpose lediglich zu kommunizieren: „Haltung ist der Charakter eines Unternehmens und daher sollte es sich für diesen Transformationsprozess auch öffnen.“ Dieser Prozess müsse nicht unbedingt gleich zu deutlichem Wachstum von gewissen Werten führen. Wichtig sei es, glaubwürdig in eine bestimmte Richtung zu gehen und auch darüber zu reden, was geschehe. „Erst umsetzen, dann werben“, empfahl die Diffferent-Geschäftsführerin.

Bonitz warnte davor, auf jeden Trend wie etwa dem „Purpose des Jahres“ aufzuspringen. „Menschen haben etwa 280 Werte, wobei die Nachhaltigkeit zu den weniger abstrakten zählt“, erklärte die Strategieberaterin. Sie plädierte für eine Analyse, was sich für ein Unternehmen kommunizieren lasse, und riet dazu, bei Purpose-Themen eher tiefzustapeln, um bessere Ergebnisse zu erzielen. Was nicht funktioniert? „Supergalaktische Purpose-Kampagnen weit weg vom Produkt – das irritiert mehr als es nützt.“