Die Angst vor der Abrisskante bei der Hörfunk-Digitalisierung

Staying alive? Radio hört nie auf! Wie Radio auch in Zukunft populär bleibt

Auch nach hundert Jahren ist der Hörfunk sehr lebendig und erfolgreich. In der digitalen Transformation lauern allerdings große Herausforderungen für die meist lokalen oder regionalen Radioprogramme.

Zu dieser Erkenntnis sind Expert:innen bei einer Diskussionsrunde während der MEDIENTAGE MÜNCHEN gekommen. Vor allem die „Abrisskante“ bei der Umstellung auf digitale Audio-Angebote bereitet manchen Branchen-Vertretern Sorgen.
In einem Video-Grußwort gratulierte Heike Raab, die als Staatssekretärin des Landes Rheinland-Pfalz die Rundfunkpolitik der Bundesländer koordiniert, zum Jubiläum des Hörfunks. Nach ihren Beobachtungen befinde sich das Medium „in einer ungeheuren Transformation“. Davon unbenommen sei jedoch klar: „Wir benötigen Radio auch in Zukunft sehr stark.“ Die Bedeutung der Gattung verdeutlichte Tagungsmoderatorin Daniela Arnu mit aktuellen, „hervorragenden“ Daten zur Nutzung des Hörfunks in Deutschland. Demnach sind innerhalb von einem Jahr 4,4 Millionen Geräte für DAB+ verkauft worden. In 91 Prozent der Haushalte gebe es ein Radiogerät. Und 53 Prozent der Hörerinnen und Hörern empfangen Radioprogramme über UKW. „Radio in Deutschland ist als Begleiter im Tag sehr erfolgreich“, resümierte die Mitarbeiterin der Programmdirektion Kultur beim Bayerischen Rundfunk.

„Radio erfindet sich immer wieder neu“, lobte Dr. Thorsten Schmiege, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM), und bescheinigte dem „Wohlfühlmedium“ eine „große Zukunft“. Schmiege sagte, er beobachte allerdings auch Druck, der vor allem bei der Vermarktung auf das Medium ausgeübt werde. Seiner Meinung nach müssen sich kleine Lokalsender im ländlichen, bayerischen Raum auf digitale Verbreitungswege konzentrieren, wozu langfristige Strategien nötig seien. Wichtig sei es deshalb, den richtigen Zeitpunkt für die gesamte Branche zum Umstieg auf DAB+ zu finden und auch die Öffentlich-Rechtlichen ins Boot zu nehmen. „Starke Marken müssen sich nicht so viel Gedanken über einen Technologiewechsel machen“, betonte Schmiege.

Dr. Nina Gerhardt, Geschäftsführerin von RTL Radio Deutschland, warnte davor, das Medium im Vergleich mit anderen Gattungen klein zu reden: „Radio ist ein lokales Massenmedium.“ Der Hörfunk wachse als einzige Gattung in der Nutzung, auch bei den jungen Nutzerinnen und Nutzern. Weil Hörfunk nah am Menschen sei, könne er nicht von der KI ersetzt werden. Allerdings biete die KI bereits jetzt an vielen Stellen Hilfestellung, von der Produktion bis zur Vermarktung. „Die Vielfalt der Verbreitungswege macht das System aus“, hob Nina Gerhardt hervor. Dabei sei UKW nach wie vor die Basis, die nicht vernachlässigt werden dürfe. Ein möglicher Verzicht auf Hörer oder Hörerinnen, der beim Umstieg auf DAB+ oder andere digitale Verbreitungswege drohe, sei für RTL eine „Katastrophe“.

Aus Sicht von Thomas Jung, Programmchef der SWR3 PopUnit beim Südwestrundfunk, gibt es indes zu viele Diskussionen über die Abrisskante bei der Abschaltung von UKW. „Entscheidend ist es, die Love Brands in einer diversifizierten Welt zu erhalten“, stellte der Programmmanager fest und fügte hinzu: „Radio beschreitet schon längst mit Leidenschaft den digitalen Weg.“ Dabei müssten jedoch die Produkte permanent auf den Prüfstand. „Von Tageszusammenfassungen am Nachmittag muss man sich verabschieden“, meinte Jung mit Blick auf das umfassende Nachrichtenangebot, das den Menschen heutzutage rund um die Uhr zu Verfügung stehe. Angesichts zahlreicher Konflikte und Krisen und einer Gesellschaft im Umbruch denkt der Programmchef über mehr konstruktiven Journalismus im Hörfunk nach. Und: „Zerstreuung und Unterhaltung sind Riesenthemen.“