„Die Gatekeeper zu Collabor-Gaters machen“
Media War & Peace – The Ultimate Guide to the Future of TV and Streaming
Evan Shapiro, Medienmacher und Medienanalyst, hat bei einem Vortrag, der während der MEDIENTAGE MÜNCHEN per Videoschalte übertragen wurde, dafür plädiert, dass Medienmacher dringend ihre Geschäftsmodelle überdenken sollten.
„Wer auf die nächste Ära der Medien wartet, der hat sie schon verpasst. Die begann bereits 2019 als Disney Direct-to-Consumer einführte“, sagte Shapiro. Der Gründer der „Change Agentur“ eshap sprach von einem „benutzerzentrierten Zeitalter der Medien, in dem User:innen ihre Feed-Hierarchie per Daumenwischen selbst einrichten“. Die Herausforderung für Medienunternehmen bestehe darin, das Geschäft zu führen, das sie haben, während sie das Geschäft aufbauen, das sie brauchen – nämlich eines, „das auf den Bedürfnissen ihrer wertvollsten Verbraucher basiert“. Nun gelte es, aus den Misserfolgen zu lernen, die die US-Medien erlitten hätten – und aus den Erfolgen.
Evan Shapiro nannte die New York Times (NYT) als Vorbild. Die Traditionszeitung komme sehr klassisch aus dem Print-Geschäft und habe es geschafft, ihr Geschäftsmodell zu einem digitalen Multiversum umzubauen, das steigende Erlöse, wachsende Abonnent:innenzahlen und mehr und mehr Nutzer:innen aufweise. Gelungen sei das mit einer Kombination aus den verlässlichen NYT-Inhalten und einer recht restriktiven Paywall-Strategie. Hinzu kämen Podcasts, erweiterte Sportberichterstattung, digitale Kochrezepte, Videos und Gaming – letzteres ein enorm wichtiges Angebot für User und gleichzeitig eines der Segmente mit dem stärksten Umsatzwachstum in der Medienbranche derzeit.
Mit einer Fülle an Zahlenmaterial unterstrich Evan Shapiro seinen Appell zum Überdenken eigener Strategien. Das Publikum der Zukunft werde jung sein. Weltweit seien 63 Prozent der Menschen unter 40 Jahre alt, im „alten“ Europa immerhin noch 46 Prozent. Die Wachstumsmärkte aber lägen in Lateinamerika, Asien und Afrika – wo der Anteil der jungen Menschen deutlich höher sei. Dazu komme, führte Shapiro aus, dass zwar die meisten Menschen bereit seien, für Medieninhalte zu bezahlen – aber keine treuen Abonnent:innen mehr seien. Das zeige sich vor allem im Streaming. 33 Prozent der Streaming-Abonnent:innen gehörten zu den „Serial Churners“: Sie abonnierten einen Dienst, betrieben Bing Watching einer Serie oder Doku und kündigten vor dem nächsten Zahlungszeitraum. Eine Ausnahme bilde Amazon Prime, weil dort zum Streaming-Abo die kostenlose Lieferung von bei Amazon bestellten Waren hinzukomme.
Medienanbieter müssten versuchen, zu „Must-Have-Medien“ zu werden, zu unverzichtbaren Diensten. Dazu gehörten zurzeit in erster Linie Social Media, Premium-Videostreamer, bei Jüngeren auch Musikstreamer und immer öfter Gaming-Anbieter. Von den Diensten, die sie tatsächlich nutzten, erachteten die User allerdings lediglich die Hälfte als echte „Must-Haves“. Die Branche müsse damit rechnen, warnte Shapiro, dass Abonnenten immer häufiger ihren Medienmix neu zusammenstellten.
Der Medienexperte aus den USA machte den deutschen Medienschaffenden aber zugleich Mut, denn nach wie vor gelte: „Content is King.“ Und in Sachen Inhalte sei der deutsche Markt stark. Die Werbeausgaben landeten zwar großenteils bei den Big-Internet-Firmen Amazon, Google und Meta, „aber ohne Eure Inhalte geht das nicht“, sagte Shapiro. „In Deutschland sind auf den Plattformen die meisten Inhalte deutscher Content von Medienunternehmen. Also braucht Google Euch, um sein Geld zu verdienen.“ Digitalkonzerne und Gatekeeper von Google bis Microsoft und Samsung seien auf die lokalen Content-Produzenten genauso angewiesen wie umgekehrt: „Da habt ihr einen Hebel.“ Er empfehle daher, die „Frenemies“, die freundlichen Feinde, zu echten Partnern zu machen, selbst wenn sie zugleich Wettbewerber blieben. Shapiros Wortschöpfung dafür: Collabor-Gaters, also Gatekeeper, die die Zugangswege zu Inhalten kontrollieren, mit denen man aber zusammenarbeiten könne.
Evan Shapiros abschließender Ratschlag: „Überall dort sein, wo die User sind, die Ihr haben wollt.“ Das bedeute auch, dass die Mitarbeiter:innen der Medienunternehmen selber eine möglichst breite Schicht der Bevölkerung abbilden müssten. Diversität mache stärker, versicherte Shapiro. Wenn das Publikum sich nicht im Unternehmen spiegele, „vergebt ihr die Chance auf eure Zukunft“. Und diese Zukunft, die sei jetzt.