Mit Qualität und Dialog aus der journalistischen Beziehungskrise

Journalism Summit – The Future is now: Die Herausforderungen für den Journalismus von morgen

Aufgrund der aktuellen Geschehnisse in Nahost und der damit einhergehenden gesellschaftlichen Verantwortung der Medien in der Berichterstattung ist der Journalism Summit im Rahmen der MEDIENTAGE MÜNCHEN um ein wichtiges Thema ergänzt worden: Dabei ging es um die Radikalisierung von Menschen und die Frage, welche Rollen Medien dabei spielen.

Außerdem sprach die Expert:innen-Runde des Journalism Summit über die journalistische Beziehungskrise zwischen Medien und ihren Rezipient:innen, über Defizite bei der Nachrichtenkompetenz sowie den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Journalismus.
Wie sollten Medien über den Angriffskrieg auf Israel berichten? Diese Frage stellte der Moderator und Journalist Richard Gutjahr den beiden Gästen Dr. Jan Busse, Konfliktforscher an der Universität der Bundeswehr München, und Richard Schneider, Journalist und ehemaliger Leiter des ARD-Studios in Tel Aviv. Beide waren sich darin einig, dass Journalist:innen mehr denn je die Aufgabe hätten, Informationen zu überprüfen, ehe sie sie verbreiten. Wie schnell Kontrollinstanzen versagen könnten, habe der Angriff auf ein Krankenhaus im Gazastreifen gezeigt. Viele Medien hätten das falsche Narrativ der Terrororganisation Hamas übernommen, Israel stehe hinter dem Vorfall.

„Auch viele Qualitätsmedien wie ARD, BBC und New York Times haben das Hamas-Narrativ ungeprüft übernommen“, sagte Jan Busse. Inzwischen sei es schwer, Informationen aus der Region zu überprüfen. „Im Gaza-Streifen gab es zehn tote Journalisten. Es ist fast unmöglich, von dort aus zu berichten“, räumte Schneider ein. Doch wie können Medien ihrer Verantwortung zu sachlicher und fundierter Berichterstattung nachkommen? Schneider empfahl, zunächst einmal auf die eigene Sprache zu achten und zu hinterfragen, was beispielsweise mit Begriffen wie „Hamas-Mann“ eigentlich kolportiert werde. Außerdem dürften antisemitische Klischees keine Verbreitung finden – ein Seitenhieb auf den umstrittenen Podcast von Lanz & Precht zu Israel.

Das Misstrauen in die Medien ist in den vergangenen Jahren gewachsen und Journalist:innen werden zum Angriffsziel und Opfer von Verschwörungen. Über die Hälfte der Bevölkerung unterstelle, die Medien würden von Mächtigen gesteuert, erklärte Prof. Dr. Wiebke Loosen, Senior Researcher für Journalismusforschung am Leibniz-Institut für Medienforschung/Hans-Bredow-Institut in ihrem Impulsvortrag. Für die Studie „Journalismus in Deutschland 2023“ hat sie zur Beziehung zwischen Journalismus und Publikum erforscht. Die Beziehung zwischen den Schreibenden und ihren Rezipient:innen ist ihrer Aussage nach gestört, in den jungen Zielgruppen sei sie teilweise gar nicht vorhanden. Auf ähnliche Erkenntnisse verwies auch Peter Kropsch, Geschäftsführer der Deutschen Presseagentur (dpa): Zwar seien vierzig Prozent der 14- bis 24-Jährigen informationsorientiert, aber gleichzeitig sei eben die Mehrheit das nicht.

Um auch jüngeren Rezipient:innen die Relevanz von Nachrichten deutlich zu machen, erklärte Kropsch, habe die dpa die Medien-Initiative #UseTheNews auf den Weg gebracht. Mit einem „Jahr der Nachricht“, das von der dpa initiiert wurde, will die Agentur mit diversen Partnern auf die Bedeutung von vertrauenswürdigen Informationen aufmerksam machen. Es soll vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen für einen sicheren Umgang mit Nachrichten geworben werden. Geplant ist für 2024 eine Kampagne unter dem Slogan „Nachrichten, die stimmen statt Stimmung machen“. Aber auch Kooperationsprojekte zwischen Schulen und Redaktionen, Newscamps für Schülerinnen und Schüler sowie ein tägliches Nachrichtenformat für Social-Media-Kanäle, das von jungen Journalistinnen und Journalisten für die eigene Altersgruppe produziert wird, sind Teil der dpa-Initiative #UseTheNews.

Sham Jaff, Senior Beraterin für Projekte und Forschung des Bonn Institute, begrüßte die dpa-Kampagne. Um das zerrüttete Verhältnis zum User zu kitten, müsse der Journalismus wieder logischer werden. Es brauche dafür Menschen, die sich die Zeit nehmen, komplexe Zusammenhänge so zusammenzufassen, dass andere sie verstehen und sich darauf basierend eine Meinung bilden können, um die Gesellschaft aktiv mitzugestalten. „Nutzer:innen müssen komplexe Themen besser verstehen können und das Vertrauen in die Berichterstattung wiederfinden“, forderte Jaff, die sich für lösungsorientierten und konstruktiven Journalismus einsetzt.

Wer über Qualität im Journalismus spricht, muss auch über den Begriff Haltung nachdenken. Christian Nitsche, Chefredakteur vom Bayerischer Rundfunk (BR), lehnte zwar diesen Begriff ab, erwähnte das Thema aber dennoch. Er spreche lieber von Fakten, die recherchiert werden, und Ausgewogenheit, für die Journalisten sorgen müssten. Damit dieses Prinzip gewahrt werde, habe der BR auch Social Media Guidelines aufgestellt. Gegen diese habe jüngst ein freier Mitarbeiter verstoßen und werde deshalb nicht mehr beauftragt. „Wir trennen uns von Journalisten, die sich als Aktivisten begreifen“, sagte Nitsche. Gutjahr warf sogleich die Frage in den Raum, ob das ZDF vielleicht auch Podcaster David Precht nicht mehr weiterbeschäftigen sollte.

Eine wichtige Herausforderung, der sich die Medien in diesen Zeiten stellen müssen, ist der Umgang mit den Kommentaren auf ihre Beiträge. Während die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vor wenigen Tagen bekannt gegeben hat, die Online-Kommentarmöglichkeiten massiv einzuschränken, hat sich die Süddeutsche Zeitung (SZ) dazu entschlossen, ihre Kommentarspalten sukzessive wieder zu öffnen. „Es lohnt sich, mit den Leser:innen in den Dialog zu treten, und zwar auf den Kanälen, die in unserer Hand liegen, und nicht auf Twitter oder Facebook“, sagte Judith Wittwer, Chefredakteurin der Süddeutschen Zeitung. Weil sich die User mit ihrem Klarnamen anmelden müssten, sei die Diskussion oft konstruktiv, erklärte Wittwer. Es kämen auch neue Sichtweisen hinzu. „Die Leserschaft weist uns auf blinde Flecken hin“, räumte die Chefredakteurin ein.

Ein wichtiger Diskussionspunkt des Journalism Summits war die Frage der Qualifikation. Welche Skills brauchen Journalisten künftig, gerade im Hinblick auf den Einsatz von KI? Alle Teilnehmer:innen der Diskussion waren sich darüber einig, dass generative KI zwar als Assistenz und auch für die Inspiration hilfreich sei. Doch den Menschen könne sie nicht ersetzen. Ausgewogenheit, Balance, Nuancierung, das mache Journalismus aus, betonte SZ-Chefredakteurin Wittwer. BR-Chefredakteur Nitsche sagte, er glaube an die Renaissance des klassischen Reporters: „Regional- und Auslandsreporter werden gesucht sein.“ Es reiche beispielsweise nicht, wenn eine Drohne aus einem Überschwemmungsgebiet Bilder der verwüsteten Region liefere. „Es braucht den Reporter oder die Reporterin, der oder die vor Ort ist und die Menschen fragt, wie es ihnen geht“, argumentierte Nitsche. Diese Aufgabe könne keine KI übernehmen: „Korrespondenten haben eine echte Zukunft.“