Mittendrin im Unfassbaren: Wie Paul Ronzheimer uns den Krieg nahebringt
Respekt und Beharrlichkeit als journalistische Tugenden
Die Arbeit eines Reporters könne man nur dann tun, wenn man jederzeit Respekt vor denjenigen habe, die ihre Geschichten vor dem Mikrofon erzählen. Gleichzeitig dürfe ein ernsthafter Berichterstatter nie der Versuchung erliegen, eine Story nur oberflächlich zu recherchieren, sie abzuliefern und dann sofort wieder vom Schauplatz des Geschehens zu verschwinden
Die langfristige Präsenz des Reporters vor Ort sei schließlich die Grundlage von Vertrauen zu den Protagonisten und die Basis für eine ausgewogene TV-Berichterstattung. So hat Paul Ronzheimer, stellvertretender Chefredakteur der Bild-Zeitung, während der MEDIENTAGE MÜNCHEN seine Herangehensweise an journalistische Aufgaben beschrieben. Ronzheimer berichtet seit Ausbruch des Krieges direkt via Bild-TV aus der Ukraine. Zuvor hatte er bereits seit 2012 regelmäßig die politische Situation im Land verfolgt und kommentiert.
Die Arbeit in einem Kriegsgebiet erfordere darüber hinaus eine täglich neu zu justierende Balance zwischen der Verantwortung gegenüber den Zuschauer:innen und der eigenen Sicherheit bzw. der des Teams. In einer Kriegssituation sei es oft eine Frage des Zufalls bzw. des Glücks, ob man selbst zu Schaden komme oder man eine Geschichte entdecke, die erzählt werden müsse.
Ronzheimer berichtete davon, wie seine Begeisterung von der revolutionären Situation im Land im Jahr der Maidan-Proteste, die vor allem durch die Jugend getragen wurde, sich in eine fundierte Kenntnis der politischen Prozesse in der Ukraine wandelte: „Im Laufe der Jahre ist ein Netzwerk von Kolleg:innen entstanden, das maßgeblich von gegenseitigem Vertrauen getragen wird. Auch mein direkter Zugang zu Präsident Selenskyj oder den Klitschko-Brüdern konnte nur entstehen, weil ich nicht aufgehört habe, mich für dieses Land zu interessieren und darüber zu berichten“, berichtete Ronzheimer. Natürlich bestehe dabei die Gefahr für eine zu emotionalisierte Berichterstattung.
Er, Ronzheimer, wisse durchaus, dass der ukrainische Präsident ihm nicht zuletzt deshalb immer wieder Interviews gebe, weil er wisse, dass er mit Bild-TV bzw. der Bild-Zeitung eine enorme Reichweite erzielen könne. Dennoch sei diese Verbindung auch von Wertschätzung geprägt. Das hatte Wladimir Klitschko zuvor während des Eröffnungsgipfels der MEDIENTAGE MÜNCHEN bestätigt und Ronzheimer ausdrücklich für seine Rolle als hartnäckiger und ausdauernder Chronist und Zeuge der Ereignisse in der Ukraine gelobt.
Selbstverständlich achteten er und sein Team dennoch stets darauf, ausgewogen über den Krieg zu berichten, betonte der stellvertretende Bild-Chefredakteur. So hätten viele internationale Medien unhinterfragt die Behauptung der ukrainischen Armee veröffentlicht, dass der Fund eines Gefäßes mit menschlichen Zähnen auf einen Genozid zurückzuführen sei. Er und sein Team hätten diese Nachricht aber nicht kommentarlos weitergegeben, sondern seien durch eigene Recherchen zu einem anderen Ergebnis gekommen.
Nach seiner Motivation gefragt, täglich eine so gefährliche Aufgabe zu erfüllen, erklärte Paul Ronzheimer, dass man die akute Gefahr vor Ort ausblende. Man müsse in dieser Situation seiner professionellen Tätigkeit den Vorrang geben. Gleichzeitig wolle er jede Art von „Fallschirm-Journalismus“, bei dem Reporter nur sehr kurz vor Ort sind, ihre Bilder oder O-Töne einsammeln und danach wieder verschwinden, vermeiden. Er wolle hingegen über den Konflikt berichten, auch wenn das Interesse der Zuschauer:innen nicht so hoch sei; er habe Interesse an den Menschen und ihrem Schicksal, weil er in den vielen Jahren eine Beziehung zu ihnen aufgebaut habe. Es gebe dabei natürlich auch oft Angst – ein Gefühl, das ihm aber unter Umständen schon Leib und Leben gerettet hätte.