Digitale Treppen in Rampen verwandeln – Wie barrierefrei sind Medien wirklich?
„Deutschland ist sehr weit hinten“
In Sachen Diversität hat sich in den Medien schon viel bewegt, allerdings werden die Belange von Menschen mit Behinderungen dabei viel zu sehr außen vorgelassen.
Das ist das Fazit der Diskussionsrunde auf den MEDIENTAGEN MÜNCHEN, die sich mit der Barrierefreiheit von Medienunternehmen und ihren Produkten befasst hat.
Iris Meinhardt, selbst gehörlos, hat beim Bayerischen Rundfunk volontiert und ist eine der Hosts von „hand.drauf“, einem Instagram-Kanal des öffentlich-rechtlichen Angebotes funk. Das Konzept „von Gehörlosen für Gehörlose“ funktioniere sehr gut, erklärte Meinhardt, deren Gesten simultan übersetzt wurden. In den Videos bei „hand.drauf“ wird Gebärdensprache genutzt und gleichzeitig wird auch untertitelt. Die unterhaltsamen Stories beschäftigen sich mit allem, was eine jüngere Zielgruppe betreffen könnte, nicht nur, aber auch mit dem Alltag von Gehörlosen. Meinhardt zitierte eine Nutzerin, die geschrieben hatte, dass sie sich nicht mehr vorstellen könne, wie sie früher ohne „hand.drauf“ leben konnte. Meinhardt selbst waren zwei Dinge wichtig: zum einen, dass es mehr gehörlose Role Models in den Medien geben müsse, und zum anderen, dass die Gebärdensprache in der Öffentlichkeit viel mehr zum Alltag gehören müsse.
Auch Judyta Smykowski hat Verbindungen zum Bayerischen Rundfunk. Neben ihrer Tätigkeit im Editorial Management des Projektes „Leidmedien“ hostet sie den BR-Podcast „Die neue Norm“, der Menschen mit Behinderung und ihre Themen sichtbar machen möchte. Mit beiden Projekten, so erklärte Smykowski, wolle sie Berührungsängste abbauen. „Leidmedien“ berät Redaktionen, wie und mit welchen Formulierungen sie über behinderte Menschen berichten können. Smykowski bemängelte, dass das Wort Diversität zwar überall auftauche, es aber kaum auf Menschen mit Behinderung angewendet werde. „Ich bin froh, dass es nicht mehr nur den akademischen Weg in den Journalismus gibt“, betonte die Journalistin, die es über Social Media zunächst zur Berliner taz als Autorin geschafft hatte. Die Ausbildungswege im Journalismus hätten enorme Hürden für behinderte Menschen – von der mangelnden Barrierefreiheit von Hochschulen bis hin zur Frage, ob man beispielsweise einen Helfer an die Seite bekomme. Iris Meinhardt hatte beispielsweise in ihrem Volontariat einen Gebärdendolmetscher an der Seite.
Behinderte Journalist:innen gibt es im Nachrichtenteam des Deutschlandfunks (Dlf) nicht, das seit 2012 das Portal „Nachrichten leicht“ betreut. Das bedauerte Dlf-Redakteurin Martina Gnad. Es sei aber für die Volontär:innen immer wieder ein „Augenöffner“, wenn sie dort bei „Nachrichten leicht“ für kurze Zeit mitarbeiteten. Einfache Sprache sei einfach extrem schwer – gerade, wenn man den Anspruch habe, keine Themen, die gerade aktuell sind, auszulassen. „Man muss dann ganz genau sagen, was heißt das denn: humanitäre Katastrophe“, so ihr Beispiel. Das sei eine gute Übung. „Wir sind ja öffentlich-rechtlicher Rundfunk und sollten alle Beitragszahler bedienen“.
Einmal pro Woche werden Nachrichten in einfacher Sprache auch im Deutschlandfunk on air ausgestrahlt. Bei der Einführung habe es jede Menge böser Post gegeben, berichtete Gnad. Ein Mann beispielsweise fühlte sich in seinem „Hörfluss“ gestört. „Wenn ich mich nicht für Sport interessiere, fühle ich mich durch Fußballberichte doch auch nicht in meinem Hörfluss gestört“, sagte Gnad. Der Deutschlandfunk verwendet bei „Nachrichten leicht“ das Konzept Einfache Sprache – nicht zu verwechseln mit Leichter Sprache. Für letztere gibt es ein ganz spezielles Regelwerk: nur eine Information pro Satz, keine Nebensätze und die Zielgruppe müsse die Texte abnehmen. Für eine aktuell arbeitende Nachrichtenredaktion sei das nicht zu leisten, sagte Gnad.
Flora Geske hat mit SUMM ein Startup ins Leben gerufen, das mittels Künstlicher Intelligenz Übersetzungen von herkömmlicher in Leichte Sprache möglich machen soll. Sie bezeichnete es selbst als „Google Translate für Leichte Sprache“. Natürlich könne SUMM nicht einzelne Texte von der Zielgruppe kontrollieren lassen. Das Startup setze aber regelmäßig Prüfgruppen ein, um die Ergebnisse der Übersetzungen zu kontrollieren. Zielgruppe seien vor allem Institutionen, die ja von Gesetzes wegen verpflichtet seien, ihre Inhalte in Leichter Sprache anzubieten, aber von dem Zeitaufwand überfordert seien.
Die Teilnehmerinnen waren sich einig darin, dass mehr Menschen mit Behinderung und ihre Bedürfnisse in den Medien präsent sein müssten. Ein Vorbild seien die USA. Bei der Debatte der vergangenen Präsidentschaftswahl gab es allein drei Gebärdendolmetscher: für die Kandidaten und den Moderator. „Deutschland ist sehr weit hinten“, bilanzierte Judyta Smykowski.