AVoD und FAST – Game Changer für die Vermarktung von TV- und Video-Werbung?
Kipppunkt erreicht? Lineares TV – ein Angebot unter vielen?
Neue werbefinanzierte Streaming-Angebote fordern alle etablierten Player im Bewegtbildmarkt heraus. Die ist positiv, weil dadurch der Wert von Bewegtbildangeboten weiter steigen wird. Dies ist herausfordernd für Medienhäuser und Plattformen, weil Nutzer:innen unabhängig vom Verbreitungsweg einfach auf klug kuratierte Inhalte zugreifen wollen.
Abschottung scheint die falsche Strategie; es zählen strategische Partnerschaften und klug kuratierte Inhalte. Was derzeit fehlt, ist eine plattformübergreifende Metrik der Nutzungsdaten, die alle Marktteilnehmer:innen verbindet. Diese Ergebnisse sind bei einer Veranstaltung der Management- und Strategieberatung Deloitte im Rahmen der MEDIENTAGE MÜNCHEN deutlich geworden.
Mediennutzer:innen in Deutschland seien aufgeschlossen gegenüber neuen werbebasierten Streaming-Angeboten wie AVoD (Ad-Supported Video on Demand) und FAST (Free-Ad-Supported Video on Demand), fasste Ralf Esser, Leiter Industry Insights von Deloitte zusammen. Deloitte hat mit seinem Digital Consumer Trend Survey 2022 festgestellt, dass 16 Prozent der 2.000 Befragten in der deutschen Teilstichprobe Interesse an rein werbefinanziertem Streaming haben, auf der Basis von 10 Minuten Werbung pro Stunde. Kostenreduzierte Abo-Modelle mit 5 Minuten Werbung pro Stunde fanden 15 Prozent der Befragten attraktiv. Das Vereinigte Königreich zeige, wie die Entwicklung vielleicht auch in Deutschland verlaufen könne: In Großbritannien sei der Markt der Abo-finanzierten Streaming-Angebote (SVoD: Subscription Video on Demand) zuletzt um zwei Prozentpunkte zurückgegangen und auch auf dem deutschen SVoD-Markt habe das Wachstum in diesem Bereich nachgelassen. An werbebasierten Streaming-Angeboten herrsche hingegen in Deutschland vor allem bei jüngeren Zielgruppen, insbesondere bei den 18- bis 34-jährigen, wachsendes Interesse.
Stefanie Jäckel, die als Chief Strategy Officer der Ad Alliance unter anderem die Vermarktungsstrategien der RTL-Gruppe verantwortet, wollte „eine Lanze für das lineare Fernsehen brechen“. Obwohl lineares Fernsehen stetig an Reichweiten verliere, seien diese noch so mächtig, dass sie von digitalen Bewegbildangeboten nicht vollständig kompensiert werden könnten.
Sowohl Jäckel als auch Henrik Papst, Chief Content Officer und Geschäftsführer bei der SevenOne Entertainment Group, betonte, dass sich lineares TV unweigerlich zu einem Angebot unter vielen entwickeln werde. Papst hob die Erfahrung der deutschen Medienhäuser in der Kuration von Medieninhalten hervor und sah die SevenOne Entertainment Group auf dem richtigen Weg, attraktive Inhalte crossmedial und partnerschaftlich mit verschiedenen Plattformen zu produzieren: „Die clevere Zusammensetzung der Finanzierung wird auch für Streamer wichtiger.” Stefanie Jäckel fürchtet die Konkurrenz durch werbebasierte Streaming-Angebote nicht. Sie schätzte, dass der Wert von Bewegtbildangeboten durch die starke Nachfrage seitens der Konsument:innen steigen werde und damit mehr Geld in den Videomarkt komme.
Thorsten Gabriel, der als Managing Director der Mediaagentur Mindshare die Seite der Werbetreibenden vertrat, zeigte sich skeptisch gegenüber den Preisvorstellungen der digitalen Plattformen: „Momentan sind die Preisvorstellungen sehr premium.” Werbetreibende müssten sich derzeit mit sehr unterschiedlichen Währungen befassen, mit denen die unterschiedlichen Plattformen ihre Reichweiten begründeten. Er stelle weniger neue Budgets, aber die Verschiebung von Budgets in Richtung Video fest.
Sowohl Medienunternehmen als auch Vermarkter und Werbetreibende wünschten sich, dass auch die neuen Streaming-Angebote in Deutschland der AGF (Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung) beitreten und so eine kanal- und plattformübergreifende Reichweitenmetrik ermöglichten. Netflix habe im Vereinten Königreich einen ersten Schritt gemacht, indem der Anbieter ab der zweiten November-Woche die unabhängige Quotenmessung durch das BARB (Broadcasters‘ Audience Research Board) zulässt. Netflix plant, ab November auch in Deutschland einen Dienst mit einer Mischkalkulation aus günstigerem Abopreis und Werbefinanzierung anzubieten.