Europatag 2022 - Medienpolitik vs. Wettbewerb, Daten und Verbraucher:innen

Schutz der Meinungsfreiheit: noch viele offene Fragen

Meinungsfreiheit und -pluralismus sind nicht selbstverständlich– auch innerhalb der europäischen Grenzen nicht. Das haben die Entwicklungen in Ungarn oder Polen inzwischen gezeigt. Im Rahmen der MEDIENTAGE MÜNCHEN haben sich Expert:innen beim Europatag mit den Herausforderungen beschäftigt, die sich in Sachen Presse- und Meinungsfreiheit stellen.

Im Laufe des Jahres 2022 waren die europäischen Institutionen auf dem Gebiet der Medienregulierung bereits sehr aktiv. So hat die Kommission am 16. September den Entwurf für einen European Media Freedom Act vorgestellt. Die geplante Verordnung enthält Schutzvorkehrungen gegen politische Einmischung in redaktionelle Entscheidungen und Überwachung. Der Schwerpunkt liegt auf der Unabhängigkeit und der stabilen Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Medien sowie auf der Transparenz des Medieneigentums und Zuteilung der staatlichen Werbung. Diese Initiative ist Teil des European Democracy Action Plan, der im Januar 2022 präsentiert worden ist.
In seiner Begrüßung erklärte Dr. Thorsten Schmiege, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM), dass der Europatag aufgrund der Aktualität und Brisanz der Fragen einer der Höhepunkte der MEDIENTAGE MÜNCHEN sei. Dabei gelte es vor allem auch zu klären, wie die einzelnen Projekte und Initiativen mit der Staatsferne vereinbar seien. Prof. Dr. Stephan Ory, Direktor des Instituts für Europäisches Medienrecht (EMR), betonte die Wichtigkeit, sich innerhalb Deutschlands, aber auch mit den europäischen Institutionen auszutauschen. Der Begriff der Staatsferne sei unter den deutschen Jurist:innen geklärt, innerhalb Europas aber bestünden noch unterschiedliche Vorstellungen über dieses Konzept.
Prof. Dr. Roberto Mastroianni, Richter am Gerichtshof der Europäischen Union, gab in seiner Keynote eine aktuelle Einordnung der medienpolitischen Initiativen auf Europa-Ebene. Im European Democracy Action Plan sieht er „einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer europäischen Medienpolitik“. Es gebe aber auch einige „sensible Fragestellungen“: Hat die Europäische Union die nötige Kompetenz, um den Medienpluralismus in den Mitgliedsstaaten regulieren zu dürfen? Und hat die Kommission hierfür auch die geeignete gesetzliche Basis gefunden? Diese Fragen müssten in den nächsten Monaten noch diskutiert werden, so der Europa-Jurist.
Dem Artikel 2 des Treaty on European Union (TEU) entsprechend, basiere die EU auf den Werten von Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Gerechtigkeit sowie der Achtung der Menschenrechte. Roberto Mastroianni fragte, wie eine „systemische“ Reaktion der EU auf die Gefährdung von Meinungspluralismus und Medienfreiheit aussehen könnte.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe bei vielen Gelegenheiten bereits unterstrichen, dass die grundlegende Rolle der Meinungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft, insbesondere wenn sie der Vermittlung von Informationen und Ideen an die Öffentlichkeit dient, „nicht erfolgreich erfüllt werden kann, wenn sie nicht auf dem Grundsatz des Pluralismus beruht, dessen letzter Garant der Staat ist“. An dieser Stelle sei es wichtig festzustellen, „dass Medienfreiheit und Pluralismus Werte sind, die zweifellos in den Anwendungsbereich von Art. 2 EUV fallen, da sie wesentliche Elemente der Demokratie sind“.
In der Anwendung der Grundsätze müssten noch eine Reihe weiterer Fragen geklärt werden: Könnte die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die betreffenden Mitgliedstaaten einleiten? Könnte ein nationales Gericht dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung in einem Rechtsstreit über ein angebliches Ungleichgewicht zwischen den an den Europawahlen teilnehmenden Parteien vorlegen? „Ich glaube, dass diese Fragen beantwortet werden müssen, da diese Antworten die Werte der Demokratie und des Pluralismus schützen, die durch Art. 12 TEU festgeschrieben sind“, sagte Mastroianni.