Run auf Retail Media: nah ran an die Kundschaft
Disruption 2.0 Retail Media auf dem Weg zum Strukturveränderer und die Chancen für Medien
Retail Media ist Werbung, die Marken direkt auf den Online-Plattformen und im Einzelhandel platzieren, um Kunden dort zu erreichen, wo sie gerade einkaufen. Es geht also um Marketing für Verbraucher:innen an dem Punkt, an dem sie zwischen konkurrierenden Marken oder Produkten wählen.
Große Online-Marktplätze wie About You, Zalando, Amazon, Otto, Douglas und MediaMarkt leben vor, wie gewinnbringend Retail Media sein kann – für die E-Commerce-Unternehmen und die Marken selbst. Doch wird Retail Media allmählich zur Bedrohung für klassische Medien? Darüber haben Expert:innen im Rahmen der MEDIENTAGE MÜNCHEN diskutiert.
„Alle Top-20-Händler in Deutschland haben inzwischen ein eigenes Retail-Media-Programm. Entweder haben sie es selbst aufgebaut oder es extern eingekauft“, sagte Moritz Hoffmann, Geschäftsführer bei der Pilot Agenturgruppe. Zwar hat sich laut dem aktuellen Pilot-Trendmonitor eine gewisse Ernüchterung eingestellt – nach dem Gipfel der überzogenen Erwartungen, doch Retail Media ist im Werbemarkt noch immer die am stärksten wachsende Media-Gattung. „Auf emotionaler Ebene kann es sein, dass ein gewisser Reality Check dazu geführt hat, den Heilsbringer Retail Media nun etwas anders einzuschätzen“, sagte Patricia Grundmann, Geschäftsführerin der OBI First Media Group. Allerdings hätten lediglich 17 Prozent der Werbetreibenden gesagt, sie würden 2026 nicht mehr auf Retail Media setzen. Auch die Ankündigung der Schwarz Gruppe, sich aus der Vermarktung von Retail Media zurückzuziehen, könnte dazu geführt haben, der Euphorie einen gewissen Dämpfer zu verpassen. „Trotzdem muss man sehen, dass in Deutschland vier Milliarden Euro in Retail Media fließen. 75 Prozent fließen zu Amazon, der Rest, eine Milliarde Euro, geht an den deutschen Handel“, rechnete Grundmann vor.
Ein wesentlicher Punkt in Bezug auf das Retail-Media-Geschäft ist immer wieder die Frage nach den endemischen und nicht-endemischen Kund:innen. Im Gegensatz zu nicht-endemischen Kund:innen, die ein allgemeineres Interesse haben, sind endemische Kund:innen bereits im Shop oder nutzen eine spezifische App eines Anbieters, haben also eine große Kaufabsicht, weil sie nach spezifischen, beim Händler verfügbaren Produkten suchen. Patricia Grundmann berichtete, Obi gewähre seit 2022 auch Anbietern aus anderen Branchen Zugang zu seinen Mediaflächen. Stehe also beispielsweise ein Projekt wie ein Umzug an, interessierten sich Kund:innen häufig auch für Telekommunikations- und Stromanbieter, Solarpanels, Carport, Pool, E-Ladesäule oder auch für ein E-Auto. „Niemand erwartet von uns, dass wir auch E-Autos verkaufen, doch die Werbung dafür auf unseren Flächen wirkt“, erklärte Grundmann.
Retail Media ist eine Gattung, die für den Handel also nach wie vor funktioniert. „Doch wie wirkt sich der Retail-Media-Boom auf die Zeitungsverlage aus?“, lautete die Frage der Moderatorin und Journalistin Juliane Paperlein an Carsten Dorn, den Geschäftsführer von Score Media. Der Vermarkter hat 420 Tageszeitungstitel im Portfolio, und der Handel ist traditionell eine wichtige Branche für die regionalen Blätter. Wird der Handel damit also vom Partner zum Konkurrenten? „In Teilen ja“, sagte Dorn. Schließlich sei jede neue Werbefläche ein Wettbewerber.
„Andererseits profitieren wir auch von dem Run auf Retail Media, da dort die Flächen oftmals nicht ausreichen“, erläuterte der Score-Media-Geschäftsführer. „Offsite-Spielfelder wie die regionalen Tageszeitungen bieten eine skalierbare Möglichkeit, Zielgruppen zu erreichen“, sagte Dorn. Score biete im Bereich Retail Media zwei zentrale digitale Spielfelder: Zum einen eine Plattform für digitale Beilagen und interaktive Formate im E-Paper-Umfeld, zum anderen Display- und Native Ads hinter der Paywall.
Auch der Schweizer Verlag Ringier sucht nach Möglichkeiten, sich ins Retail-Marketing-Spiel zu bringen. Während in Deutschland das Geschäft mit Retail Media bereits sehr weit vorangeschritten ist, scheint das Nachbarland Schweiz noch wenig erschlossen. „Im hiesigen Markt hat sich Retail Media noch nicht so stark etabliert“, sagte Silvio Heid, Head of Agency Sales bei Ringier. „Wir sehen den Aufschwung von Retail Media als große Chance, um das eigene Geschäft zu erweitern. Dafür besinnen wir uns auf zwei Stärken: unsere attraktiven, großflächigen Branding-Formate und unsere Reichweite“, kündigte der RingierManager an.
Perspektivisch werde es entscheidend sein, integrierte Plattformen zu schaffen, die Angebotskommunikation über alle Kanäle hinweg konzertiert und messbar machen, lautete die übereinstimmende Meinung der Expert:innen. Bisher gebe es keine Tests, die skalierungsfähig seien. Grundmann wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Connected-TV-Projekt für großformatige Instore-Screens, das Obi zusammen mit der AdAlliance angestoßen hat, volle drei Jahre Vorbereitungszeit benötigt habe, allein schon aufgrund der vielen Abteilungen, die einbezogen werden müssen, wenn so ein großes Projekt angeschoben wird. „Das erfordert Millionen und Abermillionen an Investments“, erklärte die Managerin.