Es gibt keine einfachen Rezepte gegen Desinformation
Filterkaffee trifft Filterblase. So bewahren wir Best Ager vor Desinformation
Werden für ältere Mediennutzer:innen spezielle Formen von Aufklärung gegen Desinformation benötigt? Im Rahmen der MEDIENTAGE MÜNCHEN haben Expert:innen diese Frage mit einem Nein beantwortet.
Schuldzuweisungen und einfache journalistische Rezepte, so hieß es, könnten gegen Desinformation und Echokammern nicht ankommen. Wirksamer seien eine politische und mediale Diskurskultur, die Transparenz öffentlicher Meinungsbildung und der Faktor Bildung. Aber auch ein persönliches Gespräch mit Betroffenen könne oft helfen, um Menschen Wege aus deren Radikalisierung aufzuzeigen.
Professor Dr. Jeanette Hofmann beschäftigt sich als Direktorin des Alexander von Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft (HIIG) und Leiterin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf Gesellschaft und Politik. Sie bezweifelte, dass die Empfänglichkeit für Desinformation durch das Lebensalter von Menschen erklärt werden könne. Verschiedene Forschungsergebnisse legten nahe, dass radikalisierte ältere Menschen zu einer marginalen Gruppe gehörten. Die Studienlage über den schwer zu fassenden Begriff Desinformation sei heterogen und teilweise widersprüchlich: „Desinformation ist eher ein Spektrum als ein klar untersuchbarer Zustand.“ Jeanette Hoffmann identifizierte in ihrem Vortrag vor allem zwei Faktoren: Auf persönlicher Ebene spiele die Bildung eines Menschen eine wesentliche Rolle, um Desinformation zu erkennen und hinterfragen zu können. Auf gesellschaftlicher Ebene appellierte sie an Politiker:innen und Medienschaffende, sachorientiert und differenziert zu diskutieren, beziehungsweise eine differenzierte Diskurskultur zu pflegen.
Die Zentrale Beratungsstelle für Weltanschauungsfragen des Landes Baden-Württemberg (ZEBRA/BW) werde immer häufiger von besorgten Angehörigen kontaktiert, die wegen der Radikalisierung ihrer Eltern verzweifelten, berichtete Dr. Sarah Pohl, die Leiterin der Stelle. Sie nannte als Beispiel das eines betagten Vaters, der altersbedingte Kontrollverluste mit der Hinwendung zu Alternativmedizin und esoterischen Verschwörungstheorien zu kompensieren versuche. Auch schwierige persönliche Umbrüche oder enttäuschende Erfahrungen mit kommunaler Politik oder gesellschaftlichen Institutionen könnten zu Vertrauensverlust führen. Ihrer Erfahrung nach seien Betroffene häufig nicht mehr mit Faktenchecks zu erreichen.
Gute Erfahrungen schilderte Sarah Pohl dagegen für persönliche Beratungsgespräche, die sowohl die betroffene Person als auch deren Angehörige einbeziehen und auf der Basis des sogenannten Eisbergmodells vor allem verdrängte oder unbewusste Ursachen bzw. Konflikte herausarbeiten. Eisbergmodell bedeutet, dass die meisten Kommunikationsprozesse unsichtbar und unbewusst ablaufen. Würden Betroffene spüren, dass man ihnen zuhört, öffne das oft wieder Türen: „Menschen, die gehört werden, werden leiser.“
Faktenchecks bzw. Debunking, also Entlarvung, seien natürlich nur auf der sachlichen Ebene möglich, sagte Sophie Timmerman. Die Leiterin des Faktencheck-Teams beim Rechercheportal Correctiv erklärte, Meinungen ließen sich nicht überprüfen. Menschen, die sich mit potenziellen Falschinformationen an die Redaktion wenden, würde das Correctiv-Team erklären, welche Informationen sich für einen Faktencheck eignen. Damit könne man Transparenz für den Rechercheprozess herstellen, ebenso durch konsequente Offenlegung von Quellen. „Vielleicht sind wir an einem Punkt angelangt, an dem Debunking nicht mehr reicht“, sagte sie und sprach das sogenannte Prebunking an: Gemeinsame Communities von Journalist:innen und engagierten Laien, wie zum Beispiel das Faktenforum von Correctiv, bieten Menschen die Möglichkeit, selbst Kompetenzen zum Erkennen von Desinformation zu erlangen. Diese Kompetenzen könnten Bürger:innen dann in ihrem persönlichen Umfeld weitergeben. Die enge Kooperation mit Bürgerstiftungen, etwa im Rahmen von Live-Workshops, stelle eine weitere Möglichkeit dar, Menschen darüber aufzuklären, wie Nachrichten entstehen und bewertet werden könnten, empfahl Timmermann.