„Ein gesunder Markt ist möglich“

TV-Gipfel: Konsolidieren oder kassieren – TV und Streaming im Verteilungskampf

Der Verteilungskampf im TV- und Streamingmarkt hat sich zwar aufgrund knapper Kassen und steigender Preise verschärft. Doch die Marktteilnehmenden begreifen die Entwicklung weiterhin eher als Chance denn als Krise. Das ist beim TV-Gipfel im Rahmen der MEDIENTAGE MÜNCHEN deutlich geworden.

Clement Schwebig, Präsident und Managing Director von Warner Bros. Discovery für Westeuropa und Afrika, erklärte im 1:1-Interview mit Panel-Moderator Torsten Zarges zu Beginn, dass sein Unternehmen mit dem Streaming-Dienst Max 2026 in Deutschland an den Start gehen möchte. Er berichtete von den kontinuierlich steigenden Abo-Zahlen, die der Dienst weltweit verzeichne. Den im Vergleich zu Westeuropa verzögerten Launch für Deutschland erklärte Schwebig damit, dass man sich hier besondere Mühe gebe: „Man hat nie eine zweite Chance für den ersten Eindruck.“ Mit den Exklusivinhalten von HBO, den Filmschätzen von Warner Bros. und den Unterhaltungs- und Reality-Inhalten von Discovery+ werde es möglich sein, auch in Deutschland mit Streaming zu reüssieren, zeigte sich der Manager überzeugt. Die Frage nach der Zukunft der Partnerschaft mit Sky beantwortete Schwebig ausweichend. Es gebe nie nur eine Strategie für alles. In den USA kooperiere man zum Beispiel auch mit anderen Streaminganbietern. 

Raus aus der Vollkasko-Mentalität

Während der anschließenden Podiumsdiskussion plädierte Marcus Wolter, Geschäftsführer beim Formatentwickler Banijay Germany und bei der brainpool TV GmbH, für mehr Optimismus. Der Verantwortliche der größten senderunabhängigen deutschen TV-Produktionsgruppe sagte, für die Produktionslandschaft sei die derzeitige Entwicklung „hervorragend“. Programmanbieter und Produzenten müssten „raus aus der Vollkasko-Mentalität“. Er konstatierte „wahnsinnig viel Bewegung im Markt“. Im Zweifel gingen große Player wie seine Firma auch in Vorleistung bei der Produktion, um den Sendern und Anbietern neue Formate schmackhaft zu machen. Es sei nämlich extrem wichtig, Marken zu kreieren und auszubauen. 

Diese Beobachtung teilte auch Henrik Pabst, Chief Content Officer der ProSiebenSat.1 SE: „Früher sind wir auch mit Mittelmäßigkeit davongekommen.“ Diese Zeiten seien vorbei. Was linear funktioniere, werde immer mehr daraufhin abgeklopft, ob es auch Streaming-tauglich sei. Kontinuierlich denke man darüber nach, wie man Marken erweitern könne. Aber es sei nicht nur wichtig, Marken und Talente wie Heidi Klum zu pflegen und von ProSieben hin zum Streamingangebot Joyn zu lancieren. Es wüchsen auch hervorragende Talente nach, die man pflegen müsse. 

RTL setzt in Sachen Talent-Pflege aktuell auf Stefan Raab. Der fast 60-Jährige erschließe für RTL+ gerade eine „Fan-Base, die wir bisher nicht angesprochen haben“, berichtete Inga Leschek, Chief Content Officer von RTL Deutschland. Die Strategie ihrer Sendergruppe sei im Linearen: „Wir schützen erstmal das, was wir haben.“ Raab, der für fünf Jahre für das Streaming-Angebot verpflichtet wurde, werde auch auf RTL zu sehen sein, zum Beispiel kurz vor Weihnachten in einer gemeinsamen Show mit Bully Herbig. Aber gleichzeitig investiere man natürlich „wahnsinnig viel“ in die Transformation ins Streaming von RTL+.

Man darf als Streaming-Dienst nicht stehenbleiben

Selbstbewusst gab Katja Hofem, Vice President Content für Deutschland, Österreich und die Schweiz bei Netflix, zu verstehen, dass der Streaming-Anbieter selbst seine eigene größte Konkurrenz sei. Sie verglich den Erfolg der Serie „The Crown“ mit den Anstrengungen, die das Unternehmen in die deutschsprachige Produktion von „Die Kaiserin“ stecke. Man dürfe als Streaming-Dienst einfach nicht stehenbleiben. Der Wettbewerb sei lebendig und deshalb erfreulich: „Ein gesunder Markt ist möglich.“ Dass Netflix sich mit Live-Events wie Boxübertragungen immer mehr dem klassischen TV annähere, mochte Hofem nicht bestätigen. Der Vorteil von Netflix sei: „Wir müssen keine Slots befüllen.“ Mit der Entwicklung neuer Formate könne man sich einfach so lange Zeit lassen, bis der höchste Grad an Exzellenz erreicht sei. 

Positiv bewertete die Programmdirektorin der ARD, Christine Strobl, die neuen Entwicklungen am Markt. Sie zeigte sich erfreut darüber, dass das „klassische TV“ weiterhin gut funktioniere. Mit der innerhalb von drei Jahren komplett überarbeiteten Mediathek habe man nun die Möglichkeit, „neue Formate und neue Längen“ auszuprobieren. Die Internationalisierung der deutschen Fernsehbranche habe zu neuen Erzählweisen und neuen Finanzierungsmöglichkeiten geführt.

Einig waren sich die Expert:innen auch darüber, dass nicht nur große Produzenten gebraucht werden, die wie Benijay Germany ganze Shows vorproduzieren können, sondern auch kleine Anbieter, die speziell für den deutschen Markt kreativ werden.