Digitale Kolonialisierung: Kompromiss in Graustufen?
Reset für die digitale Zukunft – Plattformmacht, Medienfreiheit und die Demokratie- sicherung in Europa
Wie können Europa und Deutschland ihre digitale Abhängigkeit von amerikanischen oder chinesischen Plattformen verringern? Oder ist es schon zu spät, um aus der „digitalen Kolonialisierung Europas“ herauszukommen, wie es Moderator Richard Gutjahr bei einer Panel-Diskussion im Rahmen der MEDIENTAGE MÜNCHEN bezeichnet hat? Diese Frage mochten die Panel-Teilnehmenden letztlich noch nicht final beantworten.
„Auf der strukturellen Ebene muss die Politik Druck machen“, forderte Dirk von Gehlen, Journalist und Director Think Tank beim SZ Institut. „Aber: Wir alle müssen auch unser eigenes Medienverhalten überprüfen.“ Wie beim Konsum von Lebensmitteln sei es auch bei der Mediennutzung eine persönliche Entscheidung, ob man sich von Fast Food oder geistig gesund ernähre. Ob TikTok, Facebook, Instagram oder klassische Medien: „Jeder Einzelne kann hier selbstwirksam sein und selbst entscheiden, wem er seine Aufmerksamkeit schenkt.“ Dazu – so ergänzte Robert Amlung, Head of Digital Strategy beim ZDF – „muss es aber auch Alternativen geben“.
Der Public Spaces Incubator könnte eine solche Alternative werden. In diesem Forschungsprojekt arbeitet das ZDF gemeinsam mit öffentlich-rechtlichen Partnern an der Entwicklung eines Angebots, das ein Gegengewicht zu den Walled Gardens von Meta, Google oder TikTok bzw. Byte Dance werden soll. Das Ziel: Neue digitale Räume für konstruktiven Austausch zu entwickeln. Im Gegensatz zu den zentralisierten und geschlossenen Plattformen verfolgen die öffentlich-rechtlichen Partner einen dezentralen und vernetzten Ansatz. „Wir bauen keine Plattform, sondern eine Infrastruktur, die es ermöglicht, alle teilnehmen zu lassen, die teilnehmen wollen“, berichtete Amlung, der Anfang des Jahrtausends maßgeblich an der Entwicklung der Mediatheken beteiligt war. Die Infrastruktur basiert auf der deutschen Mastodon-Technologie – die Idee dieses dezentralen Systems aus unabhängigen sozialen Online-Netzwerken wurde im Oktober 2025 mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Geht alles nach Plan, wird die Infrastruktur im ersten Quartal 2026 in die öffentlich-rechtlichen Streaming-Plattformen eingebaut.
Von Gehlen verglich die Initiative des ZDF mit dem „Reset-Knopf in die digitale Zukunft“: „Das Internet war ursprünglich ein dezentrales System“, argumentierte von Gehlen. Mit Mastodon breche man die geschlossenen Modelle wie Facebook, Instagram, TikTok etc. wieder auf – sprich: Inhalte, die auf diesen Plattformen veröffentlicht und gepostet wurden, sind auch für Nicht-Mitglieder zugänglich.
Und wie schätzen die Experten Listungen mit Inhalten ihrer Medienhäuser bei KI-Plattformen oder bei sozialen Online-Netzwerken ein? Hier gebe es keine einzig richtige Entscheidung; die Diskussion erinnere an die Zeiten, als Medienhäuser überlegten, wie sie mit ihren Inhalten gegenüber der Suchmaschine Google umgehen sollten. Die Lösung sei immer ein Kompromiss in Graustufen, sagte von Gehlen.